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Die Stille ist kein Geräusch

September 20, 2016 0 comments

Einfach loslaufen. Ein Text, erschienen im Greenpeace Magazin, hatte mich inspiriert. Da waren zwei einfach losgelaufen. Eine Woche Harz. Nicht gerade Wildnis, dachte ich zuerst beim Lesen. Aber es ging mehr darum, keine Pläne zu schmieden, nicht immer einen Exit-Plan in der Tasche zu haben. Einfach mal loslaufen und schauen, was passiert. Kann man überhaupt noch Abenteuer erleben? Wildnis, gibt es die überhaupt noch bei uns? Vielleicht muss es aber auch nicht immer der Kampf mit dem Bären oder der Giftnatter sein, um den Stempel Abenteuer zu verdienen.

Ich lasse die philosophischen Gedanken fürs erste ruhen und packe meinen Rucksack für den kleinen Wildnistrip. Der Plan ist, tief in die Tramuntana einzudringen, dort etwas zu wandern und dann mitten im Wald unter freiem Himmel zu übernachten. Ohne Zelt (was leider verboten ist), nur mit Isomatte und Schlafsack. Es wird nur eine Nacht werden, das Risiko dieses Abenteuers ist überschaubar. Viel braucht man nicht für so eine kurze Zeit. Wasser, etwas zu Essen für den Abend und das Frühstück, mehr eigentlich nicht. Die extreme Hitze hat auch nachgelassen. Gut für uns, denke ich noch.

Erste Hürde: Unser Moped und wir

Das kleine Abenteuer beginnt vor der Haustür. Spontan schließt sich eine Bekannte an, wir nehmen meinen Motorroller, beide haben Gepäck, sie ist ein Frischling als Beifahrerin. Ich schlucke. Das ging in der Vergangenheit schon manchmal schlecht aus. Nach 2 Metern musste ich dann anhalten, das Zittern und das enge Geklammer der unerfahrenen Beifahrer war für beide schwer zu ertragen. Ich hatte Sorge, unser Ausflug könne hier vor der Tür enden. Wohin mit den Rucksäcken, den Isomatten und uns? Wir reisen in „indischen“ Verhältnissen, passen beide gerade so auf den Sitz, meine Füße schlängeln sich kreativ um den kleinen Rucksack zu meinen Füßen, meine Sozia hält sich wacker und reist entspannt hinten drauf. Kein Klammern, kein Helm- Aneinanderschlagen bei jeder Bremsung. So weit, so gut. Nach einer leichten Erhöhung des Reifendrucks an der Tankstelle, fahren wir deutlich entspannt weiter. Was 50% höherer Druck so ausmachen können…

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Ein Großteil ist geschafft, trotz ständig sinkender Tanknadel.

Die Route führt uns zuerst nach Sóller, durch den Tunnel, dann hinter Sóller in die Berge. Fornalutx, immer weiter den Berg hoch. Die kleine Liberty brummt, bei 40 km/H schnauft sie den Berg hoch. Heute hat sie zu tun, zwei Personen plus Zusatz und Steigung, Steigung, Steigung. Zwischendurch erhasche ich aus den Augenwinkeln Blicke in das stetig tiefer liegende Tal von Sóller. Meine Augen müssen auf die Straße gerichtet bleiben, dabei ist der Ausblick atemberaubend. Das Felsmassiv windet sich drumherum, fast ein wenig wie ein riesiger Vulkankessel, die Orangenhaine leuchten grün. Wir fahren höher und höher und höher. Ein kleiner Tunnel, eine Aussichtsbucht, an der alle anhalten und Fotos machen. Sind wir jetzt da, frage ich innerlich? Es geht noch ein wenig höher nach dem kleinen Tunnel, der Puig Major, Mallorcas höchster Berg, ist in Wolken gehüllt. Die Militärstation mit der weißen Kugel ist zu sehen.

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Wir rollen vorbei an den Stauseen, die das Trinkwasser für Palma bescheren. Die Ränder sind erdfarben, der Sommer war hart, die Reserven sind diesmal relativ aufgebraucht. Es muss jetzt bald richtig regnen. Nur nicht heute, hoffe ich, und blicke besorgt auf die grauen Wolken, die über uns ziehen.

Wir parken den Roller an einem Rastplatz, verstauen die Helme und ziehen los. Unsere Wanderung ist überschaubar und von Wildnis ist in diesem Streckenabschnitt noch nicht so viel zu spüren. Der Wasserkanal aus Beton ist unser Wegweiser. Er verbindet die beiden Seen. Der Weg führt parallel dazu. Zwischen durch öffnen sich Einblicke auf den zweiten Stausee, eingebettet in die Berge. Wunderschön.

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Unser Wegweiser durch die Wildnis.

Es geht los, in den Wald…

Meine Begleiterin ist Biologin und hat den Kennerblick auf Wurzeln, die sich durch Felsen gefressen haben, Flechten an den Bäumen – ein Zeichen für gute Luft – sagt sie. Das gefällt mir. Wenige Wanderer kommen uns entgegen. Irgendwann geht es rechts leicht den Berg hoch, die Schilder sind nicht ganz klar, aber es gibt sonst keinen Weg. Der Wald wird dichter.

Nach einer Stunde sind wir schon am Ziel. Abenteuer Teil 1 erfolgreich bestanden. Hier treffen wir Maria und Julia, zwei wirkliche Abenteuerinnen. Sie sind schon länger unterwegs, mit Sack und Pack, ziehen durch die Berge, treffen auf Feuerwehrmänner, die ihnen hilfreiche Tipps geben, betten ihr Haupt auf weichem Moos, harren unter Felsvorsprüngen aus, während ein angekündigtes Gewitter aufzieht. Dass man nicht in Outdoorkleidung von Kopf bis Fuß ausgerüstet sein muss, beweisen sie auch. Leichtfüßig zieht Maria durch die Gegend, wenn es warm ist, trägt sie ein Baumwollkleid, morgens gießt sie sich eine Ladung frisches Quellwasser über den Kopf, ihre persönliche Morgendusche. Das Wiedersehen ist schön, wir sind ein wenig stolz, es bis hier geschafft zu haben und uns tatsächlich getroffen zu haben.

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Die beiden haben schon den perfekten Schlafplatz gefunden. Oben auf den Felsen, geschützt durch die Bäume, liegt eine ehemalige Köhlerplattform. Eben und leicht mit Laub bedeckt. Fantastisch. Wir bringen Leckerbissen aus der „Zivilisation“ mit. Nach mehreren Tagen mit eingeweichten Körnern und Couscus, stürzen sich die beiden begierig auf die Schokolade, Käse und die frische selbstgemachte Feigenmarmelade. Das Töpfchen sollte am nächsten Tag leer zurück nach Palma reisen…

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Zuerst machen wir es uns nett, essen, reden, hängen die Hängematte in die Bäume. Die Wolken leisten uns weiterhin Gesellschaft. Es wird schon gut gehen, denke ich, und freue mich auf die frische Luft, die mir in der kommenden Nacht um die Nase wehen wird. Dann gibt es eine Runde Einkehr. Wir sitzen beisammen, es ist ruhig, so ruhig, wie ich es selten sonst erlebe. Die Ruhe umhüllt mich, ich sitze mit den anderen auf den Isomatten, einfach so, beieinander, jede hängt ihren eigenen Gedanken nach, meditiert, sinniert…Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, ein Gefühl von wirklich zur Ruhe kommen, etwas, was in der Stadt selten gut möglich ist. Ab und zu raschelt es ein wenig, sonst hören wir das schönste Geräusch von allen: Stille.

Wenn man nur die Blätter hört

Wir kriechen früh in unsere Schlafsäcke, es ist frisch und ein wenig klamm…die beiden Isomatten sind der Luxus, den ich mir trotz Enge auf dem Scooter erlauben wollte. Wird schon gut werden, die Nacht, denke ich, und sinke schnell in den Schlaf.

Es fängt langsam an. Erst einer, dann der zweite. Kleine, leichte Tropfen, die ich ignoriere, am Anfang. Dann geht es los. Es regnet, der lange ersehnte Regen. Er ist da. Ausgerechnet jetzt und heute. Da wir doch keine absoluten Abenteuerinnen sind, die sich in Erdlöcher verbuddeln oder in Höhlen kriechen, hatten wir einen Plan B. Die Nacht ist lang, irgendwann schlafe ich wieder ein und werde erst um 9 Uhr wach.

Die Körner sind schon eingeweicht, die erfahrenen Wanderinnen haben bereits meditiert und wir breiten die Isomatten aus. Es gibt Banane mit Schokoladenraspeln auf Brot, wer mag, kann auch gesundes Müsli wählen. Der heiße Kaffee oder Tee muss heute entfallen. Dafür trinken wir das kühle Quellwasser, das man direkt unterhalb unseres Schlafplatzes bekommen kann. Durch ein Schloss ist es vor Tieren, und somit auch Verunreinigung, geschützt. Wer braucht Kaffee, wenn er auch das hier haben kann?!

Eine kleine Morgeneinkehr, ein Wach-Werd-Plausch. Dann packen wir und ziehen zurück zu unserem geparkten Moped. Zurück über Serpentinen, diesmal geht es runter. Unser Abenteuer endet an einem Ausblicklokal, wo wir über ganz Puerto Sóller schauen können. Frischer Orangensaft und ein warmes Mahl, das gönnen wir uns jetzt und fühlen uns ein wenig so, als hätten wir die Erde umrundet.

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Als ich zu Hause ankomme, fühle ich mich wirklich anders. Irgendwie richtig gut, erfüllt, frisch. Das nächste Abenteuer in den Bergen oder Wäldern soll nicht zu lange warten, beschließe ich, als ich ganz langsam zurück in meinen Alltag gleite.

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