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Kiten kann jeder

August 12, 2016 0 comments

Ich will es heute wagen. Mich einfach mal in die Lüfte heben lassen, von dem Wind, den Wellen…wird schon nicht so schwer sein, denke ich naiv. Wir müssen mehrere Tage auf den richtigen Wind warten – und der lässt auf sich warten. Endlich kommt der ersehnte Anruf von Gerhard: Heute ist der Wind super, sagt er mir. Ich werde nervös…Wir treffen uns bei Alcúdia, zwischen Albufera und dem Meer, das hier flach ist. Und hier tauche ich ein in die Geheimnisse des Kitesurfens.

Der Wind muss Richtung Land gehen

„Jetzt kommt der Spaßteil“, sagt Gerhard Dür. Hinten an seinem Neoprenanzug hat er eine dünne Metallstange, an der sich seine Schüler bei den ersten Übungen fürs Kitesurfen im Wasser festhalten können. Der Kite schwebt oben Himmel, der Wind heute bläst ordentlich. Ich hänge mich folgsam an ihn und wir lassen uns von der Kraft des Kites in Wellen durch das Wasser ziehen. Er hatte Recht. Mein Adrenalinpegel steigt. Daniel von Ledebur und Gerhard Dür sind Kiter mit Leib und Seele. Daniel, der am Telefon wie ein Urbayer klingt, entpuppt sich als Argentinier mit deutschen Wurzeln. Mit 12 Jahren kam er von Argentiniens Nord-Westen, Cordoba, in den tiefen Süden Deutschlands: nach Ravensburg. Ohne ein Wort Deutsch. Seit 2005 ist er auf Mallorca. Die Kite-Schule im Norden der Insel, bei Alcudia, führt er seit drei Jahren mit seinem österreichischen Kollegen Gerhard Dür. Heute ist ein optimaler Kite-Tag. Die App Windguru zeigt rot bis tiefrote Pfeile – starker Wind, der Richtung Land geht. Ablandiger Wind ist gefährlich, weil man als Ungeübter zwar raus kommt, aber auch nicht wieder gut zurück. Aber es gibt auch Tage, wenn kaum ein Lüftchen bläst, an denen man eine Haupttugend der Kiter lernen muss: Geduld. Daniel ist Motivator, Trainer und Mentor in Einem. Vor allem ist er überzeugt:  Kiten kann jeder lernen. „Mein ältester Schüler war 78 Jahre alt.“ Nach vier Tagen war der am kiten.“ Er vergleicht den Sport mit dem Snowboarden. „Innerhalb kurzer Zeit kann man es so lernen, dass man selbständig und sicher wird. Alles andere ist Übung.“ IMG_0731

Die Schnüre können messerscharf werden

Die bunten Kites liegen heute überall am Ufer der Pollenca-Bucht. Hier ist das Kite-Schulen-Eldorado; verschiedene Schulen sind mit ihren Schülern hier. Wetter- und sonnengegerbte Surfertypen nutzen die guten Winde. Erfahrenere Kiter flitzen eigenständig über das Wasser. Wenn es mau ist, chillen sie in einer der kleinen Bars direkt in Ufernähe.  August und September sind die Topmonate. Im Winter dürfen die Surfer sich freier bewegen, ab Mai gibt es strenge Regeln: Can Pastilla zum Beispiel ist für sie gesperrt, weil es für die Badegäste und Schwimmer zu gefährlich wäre. In der Albufeira-Bucht haben sie ihren eigenen Kanal, für den sie zahlen müssen. Bojen zeigen den Schwimmern die Grenze an. Der Strand ist ebenfalls für die Kiter in einigen Bereichen tabu, weil es Naturschutzgebiet ist. Die Bedingungen in der geschützten Bucht von Alcudia, direkt am Rande des Albufeira, sind gut für diesen Sport. Kiter, gerade Anfänger, brauchen keine starken Wellen. Am besten möglichst lange flaches Wasser, um die Kontrolle des Schirms zu üben. Bei den 40 Meter langen Schnüren reicht mäßiger Wind, um Kraft zu entfalten. Jede 10 Meter verdoppelt sich die Windkraft nach oben.

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Ich fliege heute in Schwarz-Rot-Gold

Gerhard Dür ist ebenfalls vom Kite-Virus infiziert. Der Österreicher ist seit 2010 auf Mallorca. Er lässt mich am Strand erst einmal Trockenübungen mit einem kleinen Schirm machen. Ein bisschen Theorie gehört zur ersten Schnupperstunde dazu. Wir entrollen den Kite, entwirren gemeinsam die Schnüre, die bei starkem Wind „messerscharf sein können“, warnt er. Meiner hat die Farben schwarz, rot, gold. „Zufall“, lacht Gerhard. Die Stange, über die man den Kite lenkt, heißt Bar, die Bewegung, die man mit ihr ausführt, soll nicht mit Autofahren verwechselt werden. Eher wie beim Boxen, rechter Arm vor, linker Arm vor. Anfangs sind die Achter-Bahnen, die der Schirm fliegen soll, etwas abgehackt, immer wieder stürzt er ab und landet krachend auf dem Sand. Dann werden die Kreise gleichmäßiger.

Gerhard erzählt viel über Windfenster, Windfensterränder und Powerzone, die es zu beachten gilt, um den Kite gut zu lenken. Die Kraft ist beeindruckend. Ich muss mich mit den Füßen in den Sand stemmen, ab und zu hebt es mich fast in die Luft. Der Österreicher ist mit meinen Achterflügen zufrieden. „Wir gehen ins Wasser“, kündigt er entschieden an. Nächster Schritt: Den Kite aufpumpen und die Bar mit dem Schirm verbinden. „Man startet am besten zu zweit, einer hält den Kite, der andere die Bar. Wenn der Wind stimmt, den Schirm einfach loslassen,  nicht hochwerfen, sonst entstehen Luftlöcher.“ Dann: Klamotten aus, Neoprenanzug und Beckengurt an. Der Gurt überträgt später die gesamte Kraft. Sicherheitsgurte festzurren, Ösen schließen.  Am Anfang ist die Kitekontrolle das A und O. Das Brett bleibt die ersten Trainingsstunden im Schrank. Kopf in den Nacken, den Kite im Blick, aber gleichzeitig spüren, wo die Kraft herkommt. „Ich schaue beim Fahren nicht mehr nach oben“, sagt Gerhard. Allein durch Erfahrung und Gefühl merkt ein Kiter, woher der Wind kommt und wo der Schirm gerade ist. Soweit bin ich noch lange nicht. Die Nackenstarre bekomme ich gratis zum Kurs dazu. Während ich den Kite versuche oben zu halten, laufen wir rückwärts im Wasser, am Ende ähnelt es einem Tänzeln, der Lehrer zieht mich ein wenig weiter in die Tiefe.

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Der erste Schritt ist gemacht.

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Noch ein bisschen üben, bis ich soweit bin…denke ich optimistisch.

Delfin-Schwimmen am Anfang

Kitekontrolle, „Delfin-Schwimmen“ im Tandem, dann ist Schluss mit behütetem Training. „Jetzt du alleine“, sagt Gerhard. „Nur so lernt man es.“ Die Windkraft zieht durchs Wasser. „Links, rechts, links, rechts“, ruft Gerhard laut, damit ich rechtzeitig die Stange umlenke. „Kein Klammeräffchen mit der Stange machen“, ist der ständige Befehl. Das machen die meisten, wenn sie Angst haben, den Schirm zu verlieren. Lieber rechtzeitig gegenlenken. Wenn die Kontrolle über den Kite weg ist, dann ganz loslassen – und die Spannung auf den Schnüren ist raus. Meine Geschwindigkeit ähnelt noch ein wenig einer Tempo 30 Zone, aber ich bekomme den Dreh langsam raus. Während wir üben, flitzen die erfahreneren Kiter an uns vorbei. Chris, ein junger Engländer, der mit seinen Eltern als Kind auf die Insel kam, macht für uns ein paar Sprünge, zieht den Schirm immer wieder kräftig nach oben, hebt ab, dreht sich, und landet perfekt im Wasser. Kite-surfen gilt nicht mehr als starker Risikosport. Dennoch ist er für Verletzungen anfällig.  Gerade am Anfang sind Zerrungen im Sprunggelenkt häufig, wenn man nicht schnell genug aus den Schlaufen rauskommt. Profis haben eher mit Schulter- und Knieverletzungen zu tun, die bei gewagten Sprüngen entstehen. Für Daniel ist es mehr als ein Sport. Bei ihm werden Glücksgefühle frei, die er mit einem Rausch vergleicht. Auch ich merke, wie das Virus langsam von mir Besitz ergreift. Vielleicht doch weitermachen, einmal auf dem Brett durch die Wellen pflügen? Schließlich habe ich heute gelernt: Kiten kann jeder. Lust bekommen, auch mal übers Wasser zu flitzen? Daniel und Gerhard zeigen es gerne.

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